Ungewohnter Bundesparteitag in Berlin
21. Oktober 2020
Unser Stellv. Kreisvorsitzender Christoph Pontzen ist Delegierter zum Bundesparteitag der FDP. Er berichtet anschließend immer hier von seinen Eindrücken. Der diesjährige Bundesparteitag fand wg. der Corona-Pandemie 6 Monate später als ursprünglich geplant statt und war für alle Delegierten eine besondere Erfahrung.
Berlin. Wie gewohnt, möchte die Gelegenheit nutzen Euch vom diesjährigen Bundesparteitag zu berichten, der unter besonderen Bedingungen in Berlin stattfand.
Ungewohnt war bereits die diesjährige Delegiertenbesprechung der NRW-Delegierten.
Abweichend von der Tradition eines persönlichen Austauschs über die Programmatik und Personalthemen des Parteitages, gab es dieses Mal eine Videokonferenz am Vorabend.
Unser Landesvorsitzender Dr. Joachim Stamp ging dabei auf die Kommunalwahlen in NRW ein und berichtete, dass es landesweit 200 neue Mandate und 70 neue Ratsfraktionen gäbe. Einer toller Erfolg für die NRW-FDP.
Beim Bundesparteitag am folgenden Morgen musste ich mich dann zunächst mit vielen Änderungen vertraut machen. So gab es dieses Mal keine freie Platzwahl im Rahmen eines Landesverbandes, sondern die Sitzplätze und Laufwege wurden vorgegeben. Neu war auch die Nutzung des Tools OpenSlides, die ich persönlich als große Bereicherung empfunden habe. Mit OpenSlides können Änderungsanträge direkt im ursprünglichen Antragstext abgebildet und kinderleicht eingebracht werden. Auch kann die Rednerliste eingesehen werden.
Der Parteitag, der unter dem Motto „Mission Aufbruch“ stand, machte aus meiner Sicht deutlich, dass der Schutz vor dem Virus und ein wirtschaftlicher Aufbruch durchaus kombinierbar sind.
Christian Lindner hielt eine sehr emotionale, kämpferische, aber auch selbstkritische Rede. Selbstkritisch in dem er seine Kommunikation zum Ende der Jamaika- Koalitionsverhandlungen aufgriff und konkretisierte, dass heute statt eins Endes der Verhandlungen öffentlich eine mehrtägige Denkpause einfordern würde. Dies hätte dann eine Diskussion über die FDP-Forderungen in der breiten Öffentlichkeit zur Folge. Jubel im Saal.
Leider ist Lindner nicht auf das Thüringen-Debakel unseres Ex-Aacheners Kämmerich eingegangen.
Gefeiert wurde Christian Lindner für seine Kritik an der befristeten Mehrwertsteuersenkung. Lindner stellte klar heraus, dass die Forderung nach Digitalisierung im Bildungswesen vor Corona richtig war. Nun sei sie dringlich. Er betonte, dass die Mehrwertsteuersenkung keinen wirtschaftlichen Effekt, sondern nur viel Bürokratie zur Folge habe. Mit den 20 Milliarden Euro dieser Maßnahme hätte man alternativ alle 35.000 Schulen in Deutschland mit einem Breitbandanschluss, WLan, Notebooks für alle Lehrer inkl. Coaching und Endgeräten für Kinder aus finanzschwachen Familien ausstatten können. Und so Lindner, „es wäre immer noch Geld übriggeblieben“.
Lindner äußerte sich besorgt zur Regierungspolitik. Man würde der vierten größten Volkswirtschaft der Welt auf Dauer nicht damit helfen, indem man 5mal mehr öffentliche Schulden aufnehmen würde als nach der Finanzkrise. Dies sei nicht auf die Zukunft angelegt und führte dazu, dass Deutschland auf dem Weg zu einem großen Museum sei. Wenn man wolle, dass neue Technologien hierzulande entwickelt würden, dann müsse man die Wirtschaft entfesseln. Nur so sei ein neues Wirtschaftswunder erreichbar. Die FDP habe hier 55 Vorschläge in den Bundestag eingebracht.
Zum Thema Entlastung ging Christian Lindner auch auf die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst ein. Verdi fordert hier ein Plus von 4,8%. Lindner sagte, dass den Beschäftigten von einer solchen Lohnerhöhung nur weniger als die Hälfte übrigbliebe.
Abschließend zur Rede des Bundesvorsitzenden möchte ich berichten, dass sich Christian Lindner auch zur geplanten Schließung des Conti-Werks in Aachen geäußert hat. Er sagte, Armin Laschet müsse sich nicht an die Conti-Konzernleitung wenden, sondern an seinen CDU-Kollegen Peter Altmeier der mit immer strengeren Klima-Regelungen, die Automotivbranche gefährde und so letztendlich für den Job-Anbau verantwortlich sei.
Er stellte nochmals heraus, dass Wettbewerb (gemeint ist ein CO2-Zertifikatehandel), der beste Klimaschützer sei, da der Markt auf die Verknappung eines Gutes (CO2-Zertifikate), eine natürliche Regulation des Marktes hervorrufe.
Im weiteren Verlauf des Parteitages beschäftigte der Parteitag sich mit Personalfragen. So wurde Linda Teuteberg fair und wertschätzend verabschiedet (sie selbst stimmt versöhnliche Töne an). Als neuer Generalsekretär wurde Dr. Volker Wissing (derzeit Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz) mit 82,76% gewählt. Wissing soll mit seiner Regierungserfahrung und Wirtschaftskompetenz die „Mission Aufbruch“ der FDP und des gesamten Landes voranbringen. Wissing hielt eine sachliche, programmatische Rede, mit wenig Emotionen.
Ebenso Harald Christ, der mit 72,45% als neuer Bundesschatzmeister gewählt wurde. Christ ging auf seinen Aufstieg aus einer Arbeiterfamilie und seine Zeit in der SPD inkl. seiner persönlichen Weiterentwicklung zur FDP ein. Persönliche Anmerkung: Interessante Persönlichkeit, mir etwas zu wenig zukunftsorientiert.
Geifert wurde zuvor Dr. Hermann Otto Solms der als Bundeschatzmeister nach vielen Jahren aufhörte und zugleich vom Bundesparteitag zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Solms erhielt für seine Jahrzehnte andauernde Arbeit mehrminütigen, stehenden Applaus der Delegierten.
Ins Präsidium wurden des Weiteren als Beisitzer Bettina Stark Wetzinger mit 95,16% und Lydia Huekens mit 86,67% gewählt. In den Bundesvorstand wurde Florian Toncar, der aktuell eine sehr gute Figur bei der Aufklärung des Wirecard-Skandals macht, mit 88,25% gewählt.
Da der Bundesparteitag wg. der Corona-Pandemie nur einen Tag andauerte, konnte leider nicht alle der vielen, guten Anträge beraten werden.
Zunächst wurde ein Eilantrag zur Vergiftung des russischen Oppositionellen Nawalnys behandelt, der eine lückenlose Aufklärung des Vorgangs und die Einführung von persönlichen Sanktionen auf Bundesebene fordert. Derzeit existiert eine solche Möglichkeit noch nicht. Staaten wie Estland, Großbritannien, Kanada, Litauen und Lettland verfügen hingegen bereits über entsprechende Möglichkeiten.
Der Leitantrag „Aufbruch vom Jahr der Krisen ins Jahrzehnt des Aufbruchs“ befasst sich mit dem Wiedererstarken Deutschlands nach der Corona-Krise. Beginnend mit besseren Bildungschancen für alle Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern, über die Entfesselung der Wirtschaft hin zu Investitionen in Zukunftstechnologien bildet der Leitantrag ein erstklassiges Handbuch liberaler Politik. Ich habe es mit großer Freude gelesen und in OpenSlides mitgetragen.
Leider konnte ich bei der weiteren Antragsberatung (u.a. Wahlrecht ab 16 Jahren) wegen der fortgeschrittenen Zeit und meiner noch bevorstehenden sechsstündigen Bahnfahrt nicht beiwohnen.