Werden bald Grundschullehrer in Stolberg ausgebildet?
26. Oktober 2022
Lehrermangel an Grundschulen, aber die Landesregierung ist gegen einen neuen Studienstandort im Raum Aachen.
Setzt sich vehement für die Grundschullehrerausbildung an der RWTH ein: FDP-Landtagsabgeordneter Dr. Werner Pfeil. Foto: FDP.
Aachen/Stolberg. Die Landesregierung findet Argumente gegen einen neuen Studienstandort im Raum Aachen. Der Landtagsabgeordnete Werner Pfeil (FDP) und Stolbergs Bürgermeister Patrick Haas (SPD) warnen vor noch stärkerem Lehrermangel an den Grundschulen.
Die Chancen für einen Grundschullehramtsstudiengang im Raum Aachen stehen mehr als schlecht. Die NRW-Landesregierung beabsichtigt zwar eine grundsätzliche Erhöhung der Studienplatzkapazitäten, die Planungen seien jedoch nicht abgeschlossen. Der Aufbau eines neuen Studienstandortes in der Region steht ganz offensichtlich nicht auf der Agenda – sehr zum Ärger des Stolberger Landtagsabgeordneten Werner Pfeil (FDP).
Pfeil ist sich sicher, dass der Mangel an Grundschullehrern mit dem sogenannten „Klebeeffekt“ zusammenhängt. Sprich: Wer in Köln – dem nächstgelegenen Studienstandort – studiert, sucht sich im Anschluss eine Stelle im Raum Köln, weil er sich dort ein Leben aufgebaut hat. Vor diesem Hintergrund fordert Pfeil schon lange, dass die RWTH Aachen erneut das Grundschullehramtsstudium anbietet, was die Hochschule ablehnt.
Das NRW-Wissenschaftsministerium bestreitet nun diesen „Klebeeffekt“ gegenüber Pfeil. „Eine belastbare Kausalität zwischen dem Vorhandensein eines Studienstandortes und einer problemlosen Besetzung von Lehrkräftestellen in einer Region ist nicht erkennbar“, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die unserer Zeitung vorliegt.
Somit entfällt auch das Argument für den Studienstandort im Raum Aachen. Und so ist es viel wahrscheinlicher, dass regulär die Studienkapazitäten an der Uni Köln ausgebaut werden.
Das macht Pfeil fassungslos. Woran es denn sonst liegen solle, dass ausgerechnet hier in der Region mehr Grundschullehrer fehlen als anderswo, fragt er. In den vergangenen Jahren konnten in der Städteregion Aachen mehr als zwei Drittel der ausgeschriebenen Stellen nicht besetzt werden, mahnt Matthias Kürten vom Verband Bildung und Erziehung (VBE) in der Städteregion Aachen. Zudem würden Stellen nicht mit ausgebildeten Grundschullehrern besetzt. Pfeil kritisiert das: „Klassen werden aufgeteilt oder stundenweise nach Hause geschickt, Lehrkräfte unterrichten zwei Klassen mit offenen Türen gleichzeitig.“ Die Lage sei erschreckend. Vor diesem Hintergrund kann er die Untätigkeit in Düsseldorf nicht nachvollziehen. Was VBE-Mann Kürten besonders ärgert ist die vertane Zeit: „Hätte man vor Jahren gehandelt, könnten jetzt schon die ersten Lehrkräfte in Aachen ausgebildet werden.“ Aber diese Chance sei vertan worden.
Auch ein Vertreter der RWTH Aachen hält es für klüger, dass vorhandene Ausbildungsstellen wie die Uni Köln mehr Grundschul-Studierende aufnehmen. Diese Plätze könnten auch in Stolberg entstehen, wenn es nach dem Stolberger Bürgermeister Patrick Haas (SPD) geht. Er wirbt für eine Dependance der Uni Köln oder der Uni Wuppertal in Stolberg. Doch diese Idee steht offensichtlich noch ganz am Anfang.
Das zuständige NRW-Wissenschaftsministerium hat immerhin seit Mitte August Kenntnis von der Idee. Die Stadt habe das Ministerium mit einem Schreiben informiert, wie ein Sprecher mitteilte. „Bislang hat es aber keine Gespräche mit der Stadt Stolberg dazu gegeben“, sagte dieser.
Das Wissenschaftsministerium stellt aber schon infrage, ob eine „Dependance der Universität Köln in diesem Zusammenhang einen sinnvollen Lösungsansatz darstellt“. Das könne zwar erst nachrangig entschieden werden, heißt es diplomatisch. Aber: „Unabhängig davon ist bei der Neueinrichtung von Studiengängen an anderen Standorten die zeitliche Perspektive zu betrachten, die in der Regel mehrere Jahre Vorlauf benötigt.“
Das könnte man wohl als sehr freundliche Absage an Aachen und Stolberg werten, so sieht es auch Pfeil. Für ihn und Haas ist das völlig unverständlich. „Das Wissenschaftsministerium hat an dem Thema kein Interesse“, sagt Pfeil verärgert.
Die zeitliche Komponente ist aus Haas‘ Sicht kein Argument gegen einen Studienstandort im Raum Aachen. Es würde nach Einschätzung der RWTH Aachen zehn Jahre dauern, bis Absolventen eines neuen Standortes fertig sein könnten. „Manche Probleme lassen sich aber nun einmal nicht kurzfristig lösen. Und Politiker sollten nicht nur in Legislaturperioden denken“, sagte Haas. Auch ihm sei klar, dass nicht in einem Jahr schon junge Menschen in Aachen oder Stolberg das Grundschullehramt studieren können. Es sei ein langfristiger Prozess, aber es sei eben auch ein langfristiges Problem.
Die RWTH Aachen hält die Idee aber auch für zu teuer. Rund sieben Millionen Euro würde der Studiengang kosten. „Für die RWTH Aachen ist das natürlich nicht attraktiv, weil man damit keine Drittmittel einwirbt“, sagt VBE-Vertreter Kürten. Dabei koste ein Lehramtsstudiengang im Vergleich zu anderen wenig.
Geld ist auch für Pfeil jedenfalls kein Argument. Jedes Jahr fließen Hunderttausende wieder zurück in den Haushalt, weil eingeplante Lehrerstellen nicht besetzt werden können, sagt der FDP-Politiker. Das Geld könne man sehr gut für den Aufbau eines neuen Studienstandorts nutzen, findet er.
Zwar hatte Pfeils Parteifreundin, die ehemalige NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), immer für den Standort Aachen plädiert, das zuständige NRW-Wissenschaftsministerium unter der Ex-Ministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) hatte sich aber nicht engagiert – obwohl sie aus Aachen kommt und die Probleme in der Städteregion Aachen kennt. Sie habe sich lediglich als Kulturministerin verstanden, sagen viele Menschen, mit denen man über Pfeiffer-Poensgen und Schulpolitik spricht. Schulbildung, insbesondere im Primarbereich, sei nie ihr Thema gewesen, sagen andere, die mit dieser Einschätzung nicht zitiert werden möchten.
Die neue NRW-Landesregierung erweckt aber auch nicht den Anschein, als könne sie dem Projekt Grundschullehramt im Raum Aachen viel abgewinnen. Das ist ein herber Rückschlag für die Region, denn am Ende entscheidet das Ministerium.
Umsetzen müssen es dann die Hochschulen. Aus Wuppertal heißt es dazu nur, dass man die Idee einer Dependance für den Raum Aachen kenne; konkret für Stolberg jedoch nicht. „Es haben Gespräche mit der RWTH stattgefunden, an die das Anliegen zunächst herangetragen worden war“, sagte Uni-Sprecherin Corinna Dönges. Mehr nicht.
Die Universität Wuppertal will aber keine Lehrkräfte für das Grundschullehramt in der Städteregion Aachen ausbilden. „Zwar verfügt die Bergische Universität Wuppertal über eine besonders anerkannte Lehrerausbildung; eine Dependance stellte sich jedoch als zu aufwändig heraus“, teilte Dönges auf Anfrage unserer Zeitung mit. Die nächste Absage.
Auch an der Uni Köln hält man sich bedeckt. Man wolle die Idee zum jetzigen Zeitpunkt nicht kommentieren, heißt es aus der Pressestelle. So viel aber steht fest: „Es hat keine inhaltlichen Gespräche zu dem Thema gegeben“, sagte ein Sprecher. Haas habe jedoch den Kontakt zu dem Kanzler der Uni, Michael Stückradt, gesucht und habe sich oberflächlich mit ihm ausgetauscht.
„Ich habe auch nicht erwartet, dass die Uni Köln sagt: ,Klasse. Morgen bauen wir einen Studienstandort in Stolberg auf’“, sagt Haas ganz realistisch. Von der CDU in Stolberg wird der Bürgermeister schon kritisiert, weil er angeblich nicht ausreichend über den Fortgang der Gespräche informiere. Haas steht aber ganz am Anfang eines Kampfes, der für den Bürgermeister einer im Vergleich zu Uni-Städten wie Aachen und Köln kleinen Kommune wie Stolberg kein leichter ist. Es sei wichtig, seine Anliegen vorzutragen, sich auszutauschen und die Positionen der Hochschule zu kennen und zu verstehen, betont Haas. Es gebe nicht ausreichend Lehrkräfte, um die Kinder in seiner Kommune ordentlich zu unterrichten. Natürlich setze er alles daran, das zu ändern. „Die Uni Köln hat keinen Vorteil von einem Standort im Raum Aachen, deshalb hat sie natürlich kein ureigenes Interesse an der Umsetzung.“ Es sei die Aufgabe der Politik, das zu entscheiden.
Doch die will gerade nicht. „Völlige Unkenntnis der Situation vor Ort“, attestiert Pfeil dem Wissenschaftsministerium. „Es setzt sich das fort, was in den letzten Jahren aus dem Wissenschaftsministerium zu hören war“, erklärt Pfeil. Die RWTH müsse dringend wieder Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer ausbilden. „Die letzten fünf Jahre haben gezeigt, dass alle Vorschläge aus dem Wissenschaftsministerium nicht funktionieren, um die Situation hier zu verbessern. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer!“
von Madeleine Gullert
Aachener Zeitung, 25.10.2022